Angelo Giuseppe Roncalli – der heilige Johannes XXIII. – bleibt für viele eine Gestalt der Sanftmut, Nähe und des Vertrauens in die Vorsehung. Sein kurzes, aber leuchtendes Pontifikat hinterließ einen tiefen spirituellen Eindruck: Er verstand es, die Einfachheit eines Landpfarrers mit der Ernsthaftigkeit eines Kirchenführers zu verbinden und so Wege des Dialogs und der Barmherzigkeit zu eröffnen. Der folgende Text möchte eine Betrachtung seines spirituellen Lebens, seiner Taten und Worte anbieten und Wege der Kontemplation vorschlagen, die von seinem Beispiel inspiriert sind.
Das innere Leben: Einfachheit, Gebet und Demut
Johannes XXIII. wird oft als Mann des demütigen und regelmäßigen Gebets beschrieben. Seine Spiritualität wurzelt in erster Linie in einer einfachen täglichen Praxis: Messe, Gebetsstunden und persönliches Gebet. Diese Beständigkeit drückte für ihn eine vertraute Beziehung zu Gott aus – nicht die Suche nach außergewöhnlichen Erlebnissen, sondern die Treue zu alltäglichen Gesten. Über sein Leben nachzudenken bedeutet, den spirituellen Wert der Kleinheit Tag für Tag zu ermessen: Gebet ist kein Luxus, der feierlichen Momenten vorbehalten ist, sondern der Atem, der den Christen in der Einfachheit jedes Augenblicks trägt.
Seine Demut war keine falsche Haltung, sondern eine tiefe Herzenshaltung: Er akzeptierte seine Grenzen, strebte nicht nach Macht und erkannte die Überlegenheit Gottes in allen Dingen an. Daraus lässt sich eine klare Lehre ziehen: Der spirituelle Weg ist oft ein Weg der Selbstentäußerung, eines Verzichts, der nicht tragisch, sondern befreiend ist. Menschliche Zerbrechlichkeit zu akzeptieren bedeutet, Raum für göttliche Barmherzigkeit zu lassen.
Barmherzigkeit als Regierungs- und Lebensstil
Kurz vor Konzilseröffnung propagierte Johannes XXIII. ein weniger starres und mitfühlenderes Kirchenverständnis. Barmherzigkeit war für ihn kein bloß theologisches Konzept, sondern eine konkrete Seinsweise. Er erinnerte die Menschen gern daran, dass die Tür der Kirche offen bleiben müsse und das Herz des Hirten im Takt des menschlichen Leidens schlagen müsse. Seine berühmte Aufforderung zur Güte – „öffnet die Fenster der Kirche“ – verdeutlicht diesen Wunsch, den Glauben zugänglich zu machen und die Gläubigen nicht auf eine Sprache zu beschränken, die nur wenigen vorbehalten ist.
Wenn man seine Art der Ausübung seines Dienstes betrachtet, sieht man, wie pastorale Zärtlichkeit und Sorge um die Kleinen die Lehre in eine lebendige Gegenwart verwandeln. Barmherzigkeit wird hier als Dynamik verstanden: Sie leugnet die Wahrheit nicht, sondern präsentiert sie in Form einer Fürsorge, die heilt und befreit.
Freude und Humor: Gesichter der Nächstenliebe
Johannes XXIII. strahlte eine einfache und ansteckende Freude aus. Sein Humor – oft diskret, nie spöttisch – verdeutlichte eine tiefe Wahrheit: Der christliche Glaube ist eine Freude, die auch in der Not Bestand hat. Sein Lächeln und seine freundlichen Worte zeugten von einer beruhigenden Güte. Die Betrachtung dieser Charaktereigenschaft lädt uns ein, Freude als Frucht eines auf Gott ausgerichteten Lebens zu erkennen: Gebet und Vertrauen erzeugen eine Gelassenheit, die Prüfungen zu überwinden vermag.
Es ist wichtig, darüber nachzudenken, wie Fröhlichkeit und Freundlichkeit zusammenwirken: Der Humor von Johannes XXIII. war keine Flucht, sondern eine Möglichkeit, auf andere zuzugehen, angespannte Herzen zu entspannen und einen Raum des Vertrauens zu öffnen, in dem das Wort Gottes empfangen werden konnte.

Aufmerksamkeit für die Armen und für kleine Dinge
Ein zentraler Aspekt seiner Spiritualität war seine Aufmerksamkeit für die Armen und seine konkreten Gesten der Nächstenliebe. Seine Besuche, seine warmherzigen Worte an die Ausgegrenzten, seine Sorge um Arbeiter und Kranke zeugen von einer fleischgewordenen Theologie. Für Johannes XXIII. war die Anwesenheit bei den Kleinen ein liturgischer Akt: Den Ärmsten zu dienen, bedeutete, Christus in seinem armen Antlitz anzubeten.
Die Betrachtung dieser Gesten führt zu einer verkörperten Spiritualität: Gebete müssen sich in dienende Handlungen umsetzen, Liturgie muss sozialen Wandel bewirken und Nächstenliebe muss alltägliche Gesten beinhalten. Heiligkeit liegt also nicht nur in großen öffentlichen Taten, sondern auch in der demütigen Entscheidung, sich zu kümmern.
Das Zweite Vatikanische Konzil: eine spirituelle Öffnung
Der berühmteste Akt seines Pontifikats – die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils – lässt sich aus spiritueller Perspektive betrachten: Mehr als eine institutionelle Reform war es ein Akt des Vertrauens in den Heiligen Geist. Johannes XXIII. forderte die Kirche auf, sich selbst mit einem barmherzigen Blick zu betrachten, sich als ein Volk im Aufbruch und nicht als unbewegliche Struktur zu erkennen. Sein Satz „Öffnet die Fenster“ spiegelt eine Spiritualität wider, die neue Luft willkommen heißt, das Licht, das geschlossene Räume durchdringt.
Diese Geste zu betrachten, bedeutet, die Fähigkeit eines Hirten zu betrachten, auf das Wirken des Geistes in der Geschichte zu hören. Das Konzil war eine Einladung, die Hoffnung zu erneuern: Vertrauen in die Gläubigen, in die Laien, in die Kultur, ohne die Grundlagen des Glaubens aufzugeben. Spirituell bedeutet dies, die Spannung zwischen Treue und Dialog, zwischen Beständigkeit und Reform zu leben.
Die Universalität des Friedens: Ein Gebet für die Menschheit
Johannes XXIII. plädierte mit erstaunlicher Kraft für den Frieden. Sein Gebet für den Frieden, seine Mahnung an die politischen Führer, seine Enzyklika Pacem in terris (obwohl von seinem Nachfolger gefördert) sind tief in seinem Herzen als Hirte der ganzen Welt verwurzelt. Er reduzierte das Evangelium nie auf ein kircheninternes Wort: Der Ruf zum Frieden ist ein Ruf an die gesamte Menschheit.
Aus kontemplativer Sicht offenbart sich hier eine kosmische Spiritualität: Der Glaube öffnet sich der menschlichen Brüderlichkeit und erkennt an, dass die Würde jedes Menschen ein theologischer Ort ist. Sein Gebet für den Frieden lädt zur inneren Stille ein: Schon das Nachdenken über die Möglichkeit einer versöhnten Welt ist ein Gebet, ein Akt der Hoffnung, der sowohl das Herz als auch das Handeln einbezieht.

Die pastorale Sicht der Wahrheit: Zärtlichkeit und Integrität
Johannes XXIII. machte keine Zugeständnisse an die Wahrheit, sondern liebte sie mit Sanftmut. Er lehrte, dass die Wahrheit mit Respekt und unter Berücksichtigung menschlicher Grenzen verkündet werden müsse. Seine Pastoralmethode betont die Art und Weise, wie der Glaube weitergegeben wird: Das Wort der Lehre ist nur dann wirksam, wenn es von Zuhören und Verständnis begleitet wird.
Diese Haltung schlägt eine Spiritualität des Zuhörens vor: dem anderen Aufmerksamkeit schenken, Gewissheiten aussetzen, um das Leiden zu hören, die Geschichte des Lebens zu sehen. Wahrheit wird so zu einer Begegnung und nicht zu einer bloßen Feststellung. Über diese Seinsweise nachzudenken bedeutet, die Wahrheit mit Geduld und Liebe zu ertragen.
Die Symbolik der Gesten: Kleine Taten, große Bedeutung
Johannes XXIII. verstand es, tiefgründige Dinge durch einfache Gesten auszudrücken. Seine kleinen Aufmerksamkeiten – Briefe schreiben, einem Priester die Hand küssen, Fremde grüßen – hatten das Gewicht eines täglichen Sakraments. Jede Geste drückte eine Theologie aus: die Nähe des Pfarrers, die Würde des Menschen, die Offenheit für die Begegnung.
Christliche Meditation kann hiervon inspiriert sein: Alltägliche Handlungen werden, wenn sie im Geist des Dienstes und des Gebets ausgeführt werden, zu Zeichen der Gegenwart Gottes. Heiligkeit nimmt die Form ständiger Aufmerksamkeit an, der Liebe, die im Alltag zum Ausdruck kommt.
Vertrauen in die Vorsehung und Verzicht auf Ängste
Johannes XXIII. zeigte ein starkes Vertrauen in die Vorsehung. In persönlichen Prüfungen und internationalen Krisen stellte er Gebet und Vertrauen über die Angst. Diese Haltung zeugte nicht von Naivität, sondern von der festen Überzeugung, dass Gott die Geschichte lenkt. Sie lädt Christen ein, ihre Ängste in einen breiteren Kontext zu stellen: zu leben, ohne Verantwortung zu vernachlässigen, aber auch ohne sich vom Terror beherrschen zu lassen.
Dieses Vertrauen zu betrachten bedeutet, die Kunst der gelassenen Loslösung zu erlernen: für das Gute zu arbeiten und gleichzeitig die Ergebnisse in Gottes Hände zu legen. Innerer Frieden entsteht aus dieser Verbindung zwischen menschlicher Anstrengung und vertrauensvollem Glauben.

Heiligkeit in der Zerbrechlichkeit: Trost für die Schwachen
Johannes XXIII. sprach oft sanft über die menschliche Zerbrechlichkeit. Seine Heiligkeit war nicht die eines unbesiegbaren Helden, sondern die eines Mannes, der mit Schwäche vertraut war. Für den leidenden Gläubigen ist dieses Beispiel tröstlich: Heiligkeit ist für diejenigen zugänglich, die sich ihrer Zerbrechlichkeit bewusst sind und die Gegenwart des Herrn suchen. Der Glaube wird dann zu Zuflucht und Licht.
Über diesen Aspekt des eigenen Lebens nachzudenken bedeutet, den Schwachen zu zeigen, dass sie geliebt werden. Die göttliche Gnade verwandelt Schwäche in einen Ort der Begegnung: Wo der Mensch begrenzt ist, kann die Güte Gottes wirken.
Spirituelles Porträt: Einige Worte und Gesten zum Nachdenken
- Tägliches Gebet und Messe als Kraftquelle: Ahmen Sie seine Beständigkeit nach.
- Freundlichkeit in Worten und Freude: Ein Wort kultivieren, das tröstet.
- Sorge um die Armen: Nächstenliebe zu einem liturgischen Akt machen.
- Offenheit gegenüber der Welt und die Aufnahme neuer Dinge: den Geist erneuern lassen.
- Vertrauen Sie auf die Vorsehung: Handeln Sie ohne Angst, vertrauen Sie die Früchte Gott an.
Diese Elemente bilden eine Anleitung für das von Johannes XXIII. inspirierte geistliche Leben: Sie erfordern keine spektakulären Taten, sondern tägliche Beständigkeit, einen stets auf Gott und unsere Brüder und Schwestern gerichteten Blick.
Geistliche Übungen inspiriert von Johannes XXIII.
Hier sind einige einfache kontemplative Übungen, die Sie ausprobieren können:
- Morgenstille (10–20 Minuten): Bleiben Sie vor Aktivitäten in Stille, rufen Sie den Geist an, beten Sie für den Frieden und für die Armen.
- Andächtiges Lesen eines kurzen Textes: Wählen Sie eine Passage aus den Evangelien oder den Worten von Johannes XXIII., lesen Sie langsam, lassen Sie ein Wort oder einen Satz nachklingen und schweigen Sie dann.
- Täglicher Akt der Barmherzigkeit: eine konkrete Geste (einen einsamen Menschen anrufen, einem Nachbarn helfen, den Bedürftigen etwas geben), die in der Gegenwart Gottes ausgeführt wird.
- Verfügbarkeitstag: ein Tag pro Monat ohne übermäßige Programmierung, der für Treffen und Gebete freigehalten wird, um das Unerwartete willkommen zu heißen.
- Gebet für den Frieden: Bringen Sie jeden Abend in einem inneren Gebet die Sorgen der Welt zum Ausdruck, im Vertrauen darauf, dass diese Geste, auch wenn sie klein ist, die universelle Hoffnung stärkt.

Johannes XXIII. und die Liturgie des Herzens
Papst Roncalli empfand tiefe Ehrfurcht vor der Liturgie als Quelle des inneren Lebens. Seine Vision war nicht von formaler Starrheit geprägt, sondern von der Wertschätzung der Liturgie als Ort, an dem die Gemeinschaft zusammenkommt, um Gnade zu empfangen. Diese Haltung zu verinnerlichen bedeutet, die Messe als Zentrum des geistlichen Lebens wiederzuentdecken: Dort lernt der Gläubige Demut, Dankbarkeit und Hingabe.
Grenzen und Kritik: Demut angesichts der Geschichte
Auch in der kontemplativen Meditation ist es notwendig, Grenzen anzuerkennen: Johannes XXIII. hat nicht alle Probleme der Kirche gelöst und nicht alle Folgen des Konzils vorweggenommen. Doch seine Spiritualität bleibt ein Maßstab: Er führte eine Sichtweise ein, die zum Zuhören und Vertrauen einlädt. Die Anerkennung historischer Grenzen unterstreicht die menschliche Dimension seiner Heiligkeit: Er war ein demütiges Werkzeug Gottes, kein allwissender Meister.
Spirituelles Erbe und Berufung für heute
Das Erbe Johannes XXIII. ist vielfältig: Einfachheit, Barmherzigkeit, die Fähigkeit, der Welt das Herz zu öffnen, und Freude. Für unsere oft angespannte und gespaltene Zeit bietet sein Beispiel einen Weg: anderen ohne Angst zu begegnen, die Wahrheit mit Sanftmut zu verkünden und den Armen als Gegenwart Gottes zu dienen. Sein Ruf nach Frieden ist auch heute noch aktuell: Er erinnert daran, dass Glaube zur Versöhnung führen muss.

Fazit: Eine letzte Meditation
Die Betrachtung des Lebens des heiligen Johannes XXIII. zeigt ein Leben, das im Gebet verwurzelt und der Liebe zu den Brüdern und Schwestern gewidmet ist. Seine Heiligkeit wird nicht als unerreichbares Vorbild dargestellt, sondern als gangbarer Weg: tägliche Treue, pastorale Zärtlichkeit, Vertrauen auf die Vorsehung. Sein Andenken möge alle dazu inspirieren, Sanftmut zu pflegen, in Wahrheit zu lieben und sich für den Frieden einzusetzen. Nehmt im stillen Gebet seine Worte auf, ahmt seine Taten nach und bittet mit offenem Herzen um Gnade: So bleibt seine geistige Gegenwart unter uns.



