Land, Wohnung und Arbeit sind heilige Rechte: die revolutionäre Botschaft von Leo XIV.

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Donnerstag, der 23. Oktober 2025, wird als Schlüsselmoment im Pontifikat von Leo XIV. in die Geschichte eingehen. In der Aula Paolo VI, dem symbolträchtigen, modernistisch geschwungenen Saal des Vatikans, der von Pier Luigi Nervi entworfen wurde, hielt der peruanisch-amerikanische Papst eine Rede, die das Publikum elektrisierte. Vor Vertretern von Volksbewegungen aus aller Welt verkündete er mit seltener Überzeugung: „Land, Wohnung und Arbeit sind heilige Rechte.“ Eine Erklärung, die das Erbe seines Vorgängers Franziskus fortführt und gleichzeitig seinen eigenen Kurs im sozialen Kampf der katholischen Kirche vorgibt.

Dieses fünfte Treffen der Volksbewegungen war kein kleines Ereignis. Seit Franziskus diese Treffen ins Leben rief, sind sie zu einem bevorzugten Ort für den direkten Dialog der Kirche mit denen geworden, die täglich um die Menschenwürde kämpfen. Leo XIV., der dieses Pontifikat wählte, um seine geistliche Verbundenheit mit dem großen Sozialpapst Leo XIII. zu unterstreichen, bekräftigt damit, dass seine Kirche den Schwächsten entschlossen zur Seite stehen wird.

Eine Rede, die die Mauern des Vatikans erzittern lässt

Spürbare Emotionen in der Aula Paolo VI

Die Atmosphäre an diesem Donnerstagabend war besonders. Die Teilnehmer, die aus allen Kontinenten kamen, repräsentierten die Gesichter moderner Armut: prekär Beschäftigte, landlose Bauern, Familien in Notunterkünften und informelle Arbeiter. Als Leo XIV. den Raum betrat, richteten sich die Blicke auf ihn – eine Mischung aus Hoffnung und Erwartung. Dieser Papst, der zwischen den USA und Peru aufwuchs, kennt die Realität sozialer Ungerechtigkeit aus eigener Erfahrung.

Schon in den ersten Sätzen geschah etwas Ungewöhnliches. Die Stimme des Papstes, sonst so fest und ruhig, klang brüchig, eine rohe Emotion, die das Publikum sofort berührte. Dies war keine formale, mechanisch vorgetragene Rede, sondern ein Wort aus dem Herzen, das eines Hirten, der sich um das Leid seiner Gemeinde sorgte.

Der Applaus, der den Papst unterbrach

Selten wird ein Papst von so spontanem und anhaltendem Applaus unterbrochen. Als Leo XIV. diesen historischen Satz über die drei heiligen Rechte aussprach, erhob sich die Versammlung wie ein Mann. Minutenlang hallte der Jubel unter den Betongewölben der Aula Paolo VI. wider. Ein seltener Moment der Verbundenheit zwischen einem Pontifex und dem Volk, das er vertritt.

Dieser Applaus war nicht nur ein Zeichen politischer oder gesellschaftlicher Zustimmung. Er drückte etwas Tieferes aus: die Erkenntnis, dass die katholische Kirche durch ihr sichtbares Oberhaupt klar Stellung auf der Seite der Unterdrückten bezog. In einer Welt, in der die Ungleichheit zunimmt und der Siegeszug des Neoliberalismus unangreifbar scheint, klangen diese Worte befreiend.

Die drei Säulen der Menschenwürde

Die Erde: Die Wurzeln unserer Menschheit wiederentdecken

Wenn Leo XIV. vom Land als einem heiligen Recht spricht, meint er damit nicht nur den Grundbesitz. Er berührt etwas viel Grundlegenderes: die Verbindung zwischen Menschlichkeit und Schöpfung, zwischen den Menschen und der Natur, die sie erhält.

In vielen Teilen der Welt hat die Konzentration des Landes in den Händen weniger Millionen von Bauern ihre Lebensgrundlage genommen. Große Agrarkonzerne, Bergbauprojekte, Landraub durch ausländische Investoren: All dies sind Phänomene, die die Gemeinschaften von ihrer angestammten Beziehung zum Land getrennt haben. Der Papst verurteilt diesen Bruch als Gewalt gegen Mensch und Schöpfung.

Land ist in der Vision Leos XIV. nicht bloß eine Ware. Es ist der Ort, an dem die Menschheit ihrer Berufung nachkommen kann, den Garten, den Gott ihr anvertraut hat, zu pflegen und zu bebauen. Daher darf der Zugang dazu nicht einer Elite vorbehalten sein, sondern muss allen garantiert werden, die in Würde davon leben wollen. Diese Perspektive spiegelt die Kämpfe der Bauernbewegungen weltweit wider, von der Bewegung der Landlosen in Brasilien bis hin zu den Kleinbauern in Indien, die sich gegen multinationale Konzerne wehren.

Wohnen: Ein Dach ist kein Luxus

Die zweite Säule, die der Papst erwähnte, betrifft das Wohnen. In unseren modernen Gesellschaften ist ein Dach über dem Kopf für Millionen von Menschen zu einem unerreichbaren Privileg geworden. In den Großstädten werden die Innenstädte gentrifiziert, was die Arbeiterklasse in immer weitere Randgebiete drängt. Die Mieten explodieren, während die Löhne stagnieren.

Leo XIV. betonte nachdrücklich: Anständiges Wohnen ist kein Luxus, sondern ein Grundrecht. Wie kann man ohne eine stabile Unterkunft ein harmonisches Familienleben aufbauen? Wie kann man seinen Kindern ein entwicklungsförderndes Umfeld bieten? Wie kann man seine geistige und körperliche Gesundheit bewahren? Schlechte Wohnverhältnisse sind eine Form sozialer Gewalt, die Einzelne zerstört und Gemeinschaften zersplittert.

Der Papst fordert ein radikales Umdenken in unserem Verhältnis zum Wohnen. Statt Immobilien als spekulative Investition zu betrachten, müssen wir sie als Gemeingut begreifen, dessen Hauptzweck darin besteht, Familien Obdach zu bieten. Diese Vision steht im Widerspruch zur Logik des Immobilienmarktes, ist aber Teil einer langen Tradition christlicher Soziallehre, die betont, dass die Güter der Erde allen zugute kommen.

Arbeit: Die Würde wiederhergestellt

Das dritte heilige Recht Leos XIV. ist die Arbeit. Doch Vorsicht: Es geht hier nicht um irgendeine Arbeit. Der Papst lobt nicht die entfremdende, prekäre und unterbezahlte Arbeit, die das Los so vieler unserer Zeitgenossen ausmacht. Er spricht von würdiger Arbeit, die es den Menschen ermöglicht, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und zum Gemeinwohl beizutragen.

In einem globalen Kontext, der von der Uberisierung, der Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse und der Zerstörung sozialer Rechte geprägt ist, gewinnt diese Aussage besondere Bedeutung. Arbeit ist nicht nur ein Mittel zum wirtschaftlichen Überleben, sondern auch ein Ort der persönlichen Entfaltung und des sozialen Beitrags. Wenn sie zur Quelle von Ausbeutung und Leid wird, wird die Menschenwürde selbst verletzt.

Hier schließt sich der Papst den Analysen von Gewerkschaften und Arbeiterbewegungen an, die die wachsende Arbeitsplatzunsicherheit anprangern. Er fordert den Wiederaufbau eines starken sozialen Schutzes, die Gewährleistung angemessener Löhne und die Mitsprache der Arbeitnehmer bei der Organisation ihrer Arbeit. Diese soziale Perspektive erinnert an die Enzyklika Rerum Novarum von Leo XIII., deren Namen der Papst übernommen hat, um sein Engagement für soziale Belange zu demonstrieren.

Land, Wohnung und Arbeit sind heilige Rechte: die revolutionäre Botschaft von Leo XIV.

Das Erbe von Franziskus und der eigene Weg von Leo XIV.

Auf den Spuren eines visionären Vorgängers

Man kann die Rede Leos XIV. nicht verstehen, ohne sie im Kontext des Pontifikats von Franziskus zu sehen. Es war Franziskus, der diese Treffen mit Volksbewegungen einleitete und so einen neuen Raum für den Dialog zwischen dem Vatikan und den im Kampf für soziale Gerechtigkeit engagierten Basisaktivisten schuf. Es war auch Franziskus, der in der Enzyklika Laudato Si' die Verbindung zwischen ganzheitlicher Ökologie und sozialer Gerechtigkeit herstellte.

Der argentinische Papst hatte sich bereits bei früheren Treffen mit den drei Ts befasst: tierra (Land), techo (Dach) und trabajo (Arbeit). Er verurteilte die „tötende Wirtschaft“, die neoliberale Logik, die die Menschheit auf dem Altar des Profits opfert, scharf. Auch die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ gegenüber dem Leid der Ärmsten kritisierte Franziskus scharf.

Leo XIV. bekennt sich ausdrücklich zu diesem Erbe. Sein direkter Bezug auf die „Forderungen von Franziskus“ in seiner Rede ist nicht unbedeutend. Er markiert eine doktrinelle und spirituelle Kontinuität zwischen den beiden Pontifikaten. Der neue Papst leugnet keine der Fortschritte seines Vorgängers; im Gegenteil, er verstärkt und radikalisiert sie.

Eine Ausweitung des sozialen Kampfes der Kirche

Doch Leo XIV. wiederholte nicht einfach Franziskus. Seine Rede markierte auch einen bedeutenden Wandel. Indem er die drei Rechte als „heilig“ bezeichnete, überschritt er eine wichtige symbolische Schwelle. Dieser Begriff wird in der katholischen Theologie nicht leichtfertig verwendet. Das Heilige bezieht sich auf das, was das Göttliche berührt, das Unantastbare, das, was absoluten Respekt verdient.

Wenn der Papst von heiligen Rechten spricht, setzt er nicht nur eine politische oder soziale Aussage. Er vollzieht eine theologische Geste: Er ordnet diese materiellen Forderungen dem Glauben zu. Das bedeutet, dass der Kampf um Land, Wohnung und Arbeit nicht nur eine legitime politische Option ist, sondern eine spirituelle Pflicht. Man kann nicht behaupten, Gott zu dienen, wenn man diese Grundrechte ignoriert.

Diese Sakralisierung sozialer Rechte erweitert den Kampf der Kirche erheblich. Sie bedeutet, dass sich die gesamte kirchliche Gemeinschaft, nicht nur einige engagierte Aktivisten, mit diesen Fragen befassen muss. Sie bedeutet auch, dass Katholiken angesichts einer Politik, die diese Rechte verletzt, nicht neutral bleiben können. Leo XIV. zieht daher eine klare Linie: Auf der einen Seite Systeme, die die Menschenwürde achten, auf der anderen Seite solche, die sie verletzen.

Eine Stimme aus der Peripherie

Die Biographie Leos XIV. verleiht seiner Rede besondere Autorität. Dieser amerikanisch-peruanische Papst ist kein Kabinettstheoretiker. Er wuchs zwischen zwei Welten auf: der amerikanischen Macht und der lateinamerikanischen Armut. Diese bikulturelle Erfahrung ermöglicht es ihm, die Mechanismen wirtschaftlicher Dominanz, die unsere Welt strukturieren, von innen heraus zu verstehen.

Im Laufe seiner Karriere wurde er mit der Realität sozialer Ungerechtigkeit konfrontiert. Er kennt die Slums von Lima, die Arbeiterviertel, in denen Familien in minderwertigen Wohnungen zusammengepfercht sind. Er ist ausgebeuteten Arbeitern und Bauern begegnet, die von ihrem Land vertrieben wurden. Diese Nähe zu den Armen ist für ihn keine rhetorische Aussage, sondern gelebte Erfahrung, die sein Denken und Handeln prägt.

Mit der Wahl des Namens Leo bezieht er sich ausdrücklich auf Leo XIII., den Papst von Rerum Novarum, der Gründungsenzyklika der kirchlichen Soziallehre. Diese Wahl signalisiert, dass sein Pontifikat von der sozialen Frage geprägt sein wird. Doch anders als Leo XIII., der Ende des 19. Jahrhunderts im europäischen Kontext der industriellen Revolution schrieb, spricht Leo XIV. aus der Peripherie der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts.

Ein Wort, das verstört und befreit

Gemischte Reaktionen in der Kirche

Die Rede Leos XIV. stieß innerhalb der katholischen Kirche nicht auf einhellige Zustimmung. Einige konservative Kreise, insbesondere in Europa und Nordamerika, betrachteten diese ausgeprägte soziale Ausrichtung mit Argwohn. Sie befürchteten, dass die Kirche durch eine zu starke Verstrickung in weltliche Konflikte übermäßig politisiert würde und ihre spirituelle Botschaft verlöre.

Diese Kritiker werfen dem Papst vor, progressiven, ja sogar marxistischen Ideologien nachzugeben. Sie betonen, dass sich die Kirche auf das Seelenheil und nicht auf materielle Forderungen konzentrieren müsse. Für sie ist die Rede von heiligen Rechten eine Verwechslung der Register: Das Heilige müsse im Bereich der reinen Religion bleiben.

Doch diese Minderheitenstimmen werden durch begeisterte Unterstützung, insbesondere in den Kirchen der südlichen Hemisphäre, weitgehend ausgeglichen. In Lateinamerika, Afrika und Asien spiegelt die Rede Leos XIV. die alltäglichen Sorgen christlicher Gemeinden wider. Diese mit massiver Armut konfrontierten Ortskirchen sehen in den Worten des Papstes eine Legitimation für ihr soziales Engagement.

Echo in sozialen Bewegungen

Über die Grenzen der katholischen Kirche hinaus hat die Rede Leos XIV. bei sozialen Bewegungen weltweit großes Interesse geweckt. Gewerkschaften, Obdachlosenverbände, Bauernorganisationen und Umweltgruppen begrüßen die klare Haltung einer globalen moralischen Autorität.

Für diese Akteure ist der Papst als Verbündeter in ihrem Kampf ein wichtiger strategischer Vorteil. Die katholische Kirche mit ihren 1,3 Milliarden Gläubigen und ihrem geopolitischen Einfluss kann sozialen Forderungen erhebliche Sichtbarkeit und Legitimität verleihen. Wenn der Papst Land, Wohnung und Arbeit als heilige Rechte bezeichnet, ist das nicht nur eine weitere Meinung: Es ist eine Aussage mit erheblichem moralischen Gewicht.

Soziale Bewegungen sehen in diesem Diskurs auch einen Bruch mit der historischen Komplizenschaft eines Teils der Kirche mit den etablierten Mächten. Lange Zeit unterstützten die kirchlichen Hierarchien oft die bestehende Gesellschaftsordnung, selbst wenn diese zutiefst ungerecht war. Mit Leo XIV. spricht nun eine andere Kirche: die der Armen, der Ausgeschlossenen, der Stimmlosen.

Eine Herausforderung für Regierungen

Die Rede Leos XIV. stellt zugleich eine direkte Herausforderung an die Regierungen weltweit dar. Indem der Papst diese drei Rechte als heilig erklärt, etabliert er einen moralischen Standard, an dem sich die öffentliche Politik orientieren muss. Es handelt sich dabei nicht mehr nur um fromme Empfehlungen, sondern um grundlegende Forderungen.

Diese Herausforderung ist besonders akut für Länder mit katholischer Mehrheit. Wie können die Führer dieser Nationen den Aufruf des Papstes ignorieren? Wie können sie eine neoliberale Deregulierungspolitik rechtfertigen, wenn das Oberhaupt ihrer Kirche den Zugang zu Land, Wohnraum und menschenwürdiger Arbeit als heilig bezeichnet?

Der Papst schlägt kein detailliertes politisches Programm vor. Er legt nicht genau fest, welche konkreten Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Aber er skizziert einen klaren Horizont: Wirtschaftliche und soziale Entscheidungen müssen danach beurteilt werden, ob sie diese Grundrechte garantieren können. Jedes System, das diese Rechte missachtet, muss in Frage gestellt werden.

Eine Vision für die Kirche des 21. Jahrhunderts

Die Armen in den Mittelpunkt stellen

Die Rede Leos XIV. bestätigt eine grundlegende Ausrichtung seines Pontifikats: die Armen in den Mittelpunkt des kirchlichen Lebens zu stellen. Dabei handelt es sich nicht einfach um eine bevorzugte Option für die Armen, ein Konzept, das in der Befreiungstheologie bereits seit langem existiert. Es handelt sich um eine ekklesiologische Neugründung: Die Kirche muss vor allem eine Kirche der Armen sein.

Diese Perspektive verändert die Mission der Kirche grundlegend. Sie kann sich nicht länger mit karitativen Werken begnügen, die Armut lindern, ohne deren Ursachen zu hinterfragen. Sie muss einen strukturellen Kampf für die Veränderung ungerechter Systeme führen. Wohltätigkeit bleibt notwendig, muss aber mit dem Kampf für Gerechtigkeit einhergehen.

Diese Vision erfordert auch eine innere Transformation der Kirche. Wie kann man evangelische Einfachheit predigen und gleichzeitig im Luxus leben? Wie kann man Ungleichheiten anprangern und gleichzeitig starre hierarchische Strukturen aufrechterhalten? Leo XIV. fordert die Kirche implizit zu einer Übereinstimmung zwischen ihrer Botschaft und ihrer institutionellen Praxis auf.

Traditionelle Trennungen überwinden

Der Papst lehnt die binären Gegensätze ab, die die öffentliche Debatte oft lähmen. Es geht nicht darum, zwischen Spiritualität und sozialem Engagement, zwischen Seelenheil und Weltveränderung, zwischen der vertikalen und der horizontalen Dimension des Glaubens zu wählen. Für Leo XIV. sind diese Dimensionen untrennbar.

Gott zu dienen und den Armen zu dienen, sind keine zwei getrennten Handlungen, sondern ein und dieselbe Realität. Man kann nicht behaupten, einen unsichtbaren Gott zu lieben, wenn man die sichtbaren Menschen, die leiden, verachtet. Ebenso kann man nicht für soziale Gerechtigkeit kämpfen, ohne sich auf eine Transzendenz zu beziehen, die die unveräußerliche Würde jedes Menschen begründet.

Diese umfassende Vision trägt dazu bei, die Spaltungen zwischen progressiven und konservativen Katholiken zu überwinden. Sie lädt alle Christen, unabhängig von ihrer Überzeugung, ein, sich um das Wesentliche zu versammeln: die Verteidigung der Menschenwürde in all ihren Dimensionen.

Ein fleischgewordener Katholizismus

Die Botschaft Leos XIV. propagiert einen leibhaftigen Katholizismus, der in der konkreten Realität der menschlichen Existenz verwurzelt ist. Der christliche Glaube ist keine theoretische Abstraktion; er muss in praktisches Engagement umgesetzt werden. Der Glaube an Gott, den Schöpfer, bedeutet, die Schöpfung zu respektieren und allen zu ermöglichen, sie gerecht zu genießen.

Diese Inkarnation des Glaubens steht im Einklang mit der großen katholischen Schöpfungstradition. Im Gegensatz zu manchen Spiritualitäten, die die materielle Welt verachten, bekräftigt das Christentum, dass Materie gut ist, weil sie von Gott geschaffen und durch die Menschwerdung Christi erlöst wurde. Die Sorge um die irdischen Realitäten lenkt daher nicht vom spirituellen Leben ab, sondern ist dessen authentischer Ausdruck.

Der Papst erinnert damit daran, dass das Christentum keine Religion der Weltflucht, sondern der Weltveränderung ist. Christen sind berufen, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein, den menschlichen Teig zu gären, damit er zu größerer Gerechtigkeit und Brüderlichkeit aufgeht.

Herausforderungen bei der Implementierung

Umsetzung von Grundsätzen in Richtlinien

Eine der größten Herausforderungen nach der Rede Leos XIV. wird die Umsetzung dieser großzügigen Prinzipien in konkrete Politik sein. Es ist wichtig, zu bekräftigen, dass Land, Wohnung und Arbeit heilige Rechte sind. Doch wie können diese Rechte wirksam garantiert werden?

Bedeutet dies in der Landfrage Agrarreformen? Eine strikte Regulierung der Landnahme? Eine massive Unterstützung der bäuerlichen Landwirtschaft? Diese technischen Fragen erfordern fundiertes Fachwissen und politische Entscheidungen, die anfechtbar sind.

Welche konkreten Maßnahmen sollten im Wohnungsbau ergriffen werden? Sollten Mieten gedeckelt werden? Sollen massenhaft Sozialwohnungen gebaut werden? Sollten leerstehende Wohnungen beschlagnahmt werden? Jede Option hat ihre Vor- und Nachteile, und eine demokratische Debatte muss darüber entscheiden.

Wie können wir die Würde der Arbeit in einer globalisierten Welt gewährleisten, in der der internationale Wettbewerb die Arbeitsbedingungen verschlechtert? Sollten wir den sozialen Schutz stärken und dabei das Wachstum bremsen? Sollten wir einen Rückgang des Wachstums hinnehmen, um die Würde der Arbeit zu bewahren?

Widerstand gegen die vorherrschende Wirtschaftslogik

Die Rede Leos XIV. widerspricht der wirtschaftlichen Logik unserer Zeit. Der Neoliberalismus, der in vielen Ländern zum Standarddenken geworden ist, geht davon aus, dass der Markt alle sozialen Beziehungen regulieren muss. In dieser Vision wird alles zur Ware: Land, Wohnraum und sogar menschliche Arbeitskraft.

Die Behauptung, diese Realitäten seien heilige Rechte, stellt die Kommerzialisierung der Welt radikal in Frage. Sie bedeutet, dass es Güter gibt, die nicht allein dem Marktgesetz unterworfen werden können, sondern kollektiv geschützt und garantiert werden müssen.

Diese Position wird von den Befürwortern der Marktwirtschaft kritisiert werden. Sie werden argumentieren, dass nur die freie Marktwirtschaft den nötigen Wohlstand schaffen könne, um Menschen aus der Armut zu befreien. Sie werden das Versagen der Planwirtschaft und der interventionistischen Ökonomie hervorheben.

Der Papst wird daher sein ökonomisches Denken überdenken müssen. Es geht nicht darum, die Marktwirtschaft grundsätzlich abzulehnen, sondern sie dem Gemeinwohl unterzuordnen. Der Markt kann ein wirksames Instrument sein, aber er muss reguliert, strukturiert und auf den Nutzen aller ausgerichtet werden.

Mobilisierung der katholischen Gemeinschaft

Eine weitere große Herausforderung wird darin bestehen, die weltweite katholische Gemeinschaft wirksam für diese Ziele zu mobilisieren. Papstreden werden oft bejubelt und dann vergessen. Wie können wir sicherstellen, dass diese starken Worte in konkretes Engagement der Gläubigen umgesetzt werden?

Die Kirche verfügt über beträchtliche Ressourcen: Bildungseinrichtungen, karitative Netzwerke, Landbesitz und die Fähigkeit, Menschen zu mobilisieren. Wie können all diese Ressourcen genutzt werden, um die drei heiligen Rechte zu verwirklichen? Es genügt nicht, sie zu verkünden; sie müssen im kirchlichen Leben verankert werden.

Dies könnte konkrete Initiativen beinhalten: die Bereitstellung von Kirchenland für gemeinschaftliche landwirtschaftliche Projekte, die Umwandlung ungenutzter Kirchengebäude in Sozialwohnungen und die Gründung von Arbeitsgenossenschaften, die von den Gemeinden unterstützt werden. Die Möglichkeiten sind vielfältig, erfordern aber einen starken politischen Willen innerhalb der Institution.

Über den Diskurs hinaus: Eine Dynamik aufbauen

Die Rede vom 23. Oktober 2025 wird zweifellos als bedeutender Moment im Pontifikat Leos XIV. in die Geschichte eingehen. Doch ihre wahre Wirkung wird von den darauffolgenden Ereignissen abhängen. Eine Rede, so inspirierend sie auch sein mag, verändert die Welt nicht allein. Sie muss Teil einer größeren Dynamik sein, der konkrete Maßnahmen und nachhaltige Mobilisierungen folgen.

Leo XIV. verstand dies gut. Indem er sich an Volksbewegungen und nicht an Staatsoberhäupter oder Wirtschaftseliten wandte, zeigte er, dass der Wandel von unten kommen würde. Es waren organisierte Gemeinschaften, Kampfkollektive und Basisverbände, die die Gesellschaft konkret verändern konnten.

Die Rolle der Kirche besteht in dieser Perspektive nicht darin, diese Bewegungen zu führen, sondern sie zu begleiten, ihnen moralische Legitimität zu verleihen und Räume für Begegnung und Dialog zu schaffen. Die Kirche kann diese vermittelnde Kraft sein, die lokale Kämpfe mit einer globalen Vision verbindet und die einzelnen Kämpfe mit einem universellen Horizont verbindet.

Die drei heiligen Rechte – Land, Wohnen und Arbeit – werden auch in den kommenden Jahren im Mittelpunkt der politischen und gesellschaftlichen Agenda stehen. Angesichts der drohenden ökologischen, wirtschaftlichen und Migrationskrise wird die Gewährleistung dieser Grundrechte immer dringlicher. Die Rede Leos XIV. hatte zumindest den Verdienst, diese Themen in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte zu rücken und uns daran zu erinnern, dass sie die Tiefen unserer gemeinsamen Menschlichkeit berühren.

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